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Fast jede Sekunde kommt in Indien ein Kind zur Welt. Das sind ungefähr 16 Millionen Menschen pro Jahr, mehr als Österreich und die Schweiz zusammen an Bewohner/-innen haben. So eine hohe Geburtenrate hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Ein Beispiel: Jedes Jahr müßten 16.000 neue Grundschulen gebaut werden und 400.000 neue Lehrkräfte ausgebildet werden, um den Kindern eine ausreichende Chance auf Bildung zu gewährleisten. Da das nicht möglich ist, hat Indien eine der weltweit höchsten Analphabetenraten: etwa die Hälfte der Bevölkerung kann weder lesen noch schreiben.

Kinder: Sicherung gegen Armut

Indien hat mit einer jährlichen Geburtenrate von 1,65 Prozent derzeit den höchsten Anteil am weltweiten Bevölkerungswachstum. Im August 1999 erreichte die indische Bevölkerung nach Schätzungen der Vereinten Nationen die erste Milliarde. Im Jahr 2045 werden vermutlich 1,5 Milliarden Menschen auf dem Subkontinent leben. In einer Gesellschaft, in der es kaum oder keine Sozialfürsorge gibt, also keine Kranken- und Rentenversicherung, keine Absicherung gegen Invalidität oder Arbeitslosigkeit, sind Kinder die einzige Sicherung, "Versicherung" für die Notfälle des Lebens. Dies war im letzten Jahrhundert in Deutschland nicht anders. Untersuchungen belegen, dass gerade Familien mit geringem Einkommen auffallend groß sind. Doch etwa die Hälfte aller Kinder stirbt vor dem 5. Geburtstag. 53 Prozent aller indischen Kinder sind unterernährt. Die Hoffnungen der Familien konzentrieren sich auf einen Sohn. Dieser erhält womöglich eine gewisse Ausbildung in der Erwartung, dass er über eine bezahlte Arbeitsstelle den Familienunterhalt tragen kann. Wie sonst sollen die Armen überleben, wenn sie im Alter nicht mehr arbeiten können? Was für eine arme Familie subjektiv richtig ist, entwickelt sich zu einer Tyrannei vieler kleiner Entscheidungen. Das Ergebnis für die Gesamtgesellschaft ist weniger Sicherheit und mehr Armut.

Franz Böckle u.a. : Armut und Bevölkerungsentwicklung in der Dritten Welt. Hg. v. Deutsche Bischofskonferenz, Bonn, o. J., S. 16ff.

Der Milliarden-Fluch - von Adreas Bänziger

Sie streiten sich noch über das Wann, doch es geht allenfalls noch um Monate. Am vorigen Sonntag, das meldet jedenfalls das Bevölkerungsbüro der UN, sei in Indien die Milliarde voll geworden. Falsch gerechnet, tönt es aus Delhi zurück. Nach indischer Lesart wird die Milliardengrenze erst im kommenden Mai überschritten. Doch was soll's? Der milliardste Inder kommt garantiert - ob kurz vor oder kurz nach der Jahrtausendwende. Und er - oder sie - wird kaum willkommen sein. Natürlich wünschen wir dem milliardsten indischen Erdenbürger alles Gute auf seinem Lebensweg. Möge ihm der Elefantengott Ganesha Wohlstand bringen, Saraswati, die Göttin der Weisheit, Bildung. Aber wir können ihm keine gute Prognose stellen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er als Kind unterernährt aufwächst, beträgt mehr als fünfzig Prozent. Die Möglichkeit ist groß, dass seine Eltern zu dem Drittel der Bevölkerung gehören, das unter der Armutsgrenze vegetiert, also weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung hat. Dass der neue Mensch die Schule besuchen kann, ist nicht sicher, und wenn, dann wird es wohl eine Schule von miserabler Qualität sein. Statistisch äußerst gering ist die Chance, dass dieser Inder zu der neuen Mittelklasse gehören wird, zu den blitzgescheiten Computerfachleuten, die den internationalen Markt für Software abräumen, zu der hochqualifizierten Wissenschaftler - Truppe, die Indien hervorbringt. Denn diese kommen fast alle aus den oberen Kasten. Rein materiell gesehen ist der milliardste Inder also einer zu viel. Zwar hat Indien mit der "Grünen Revolution" bisher die Ernährung für seine explodierende Bevölkerung sichern können.

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Aber das Land hat dabei trotz einer ungewöhnlich langen Serie von guten Monsun-Zeiten seine Wasservorräte aufgebraucht. Jetzt sinkt der Wasserspiegel fast überall. Vor 40 Jahren standen für jeden Inder noch 0,2 Hektar Ackerland zur Verfügung. Jetzt ist es nur noch halb so viel. Während die Bevölkerung unaufhörlich wächst, schrumpfen die Lebensgrundlagen. Aufs nächste Jahrhundert gerechnet, sieht das Bild noch dunkler aus. Deshalb dürfen sich am allerwenigsten die Inder auf das Jahr 2045 freuen, wenn sie China als das bevölkerungsreichste Land der Erde überholen werden. Dass Indien sein Bevölkerungswachstum nicht in den Griff bekommt, hat direkt mit seiner sozialen Rückständigkeit zu tun, die das Land Jawaharhal Nehrus und Mahatma Gandhis trotz aller gut gemeinten Rhetorik nie hat überwinden können. Nur rund die Hälfte der Bevölkerung kann lesen und schreiben. Unter den Frauen sind es deutlich weniger, was einiges über die Stellung der Frau in der indischen Gesellschaft aussagt. Der Bevölkerungsanteil der Frauen ist in Indien sogar deutlich geringer als derjenige der Männer, wo es doch naturgemäß genau umgekehrt sein müßte. Fast überall in der Welt leben die Frauen länger als die Männer, nicht aber in Indien. Die krasse Benachteiligung der Frauen hat direkte Konsequenzen für das Bevölkerungswachstum. Indien selber liefert dafür den Beweis. Der sozial fortschrittliche, aber keineswegs reiche Gliedstaat Kerala in Südindien hat praktisch Nullwachstum erreicht. Dieses ist jedoch gepaart mit einer hundertprozentigen Einschulung. Wo Frauen eine Ausbildung erhalten, nicht schon minderjährig verheiratet werden, Zugang zum Berufsleben haben, dort ist auch das Bevölkerungswachstum am geringsten. In den Gliedstaaten mit dem höchsten Anteil von Analphabeten, in Bihar, in Uttar Pradesh, in Rajasthan und Madhya Pradesh, wächst die Bevölkerung am schnellsten.

Der Zusammenhang zwischen sozialen Indikatoren wie Schulbildung, Kindersterblichkeit oder Lebenserwartung (nicht aber Einkommen) und Bevölkerungszunahme ist eklatant. Nur hat Indien daraus nicht wirklich lernen wollen. Das mag auch mit der streng hierarchischen Kastenstruktur zusammenhängen, welche die Gesellschaft immer noch prägt, auch wenn das viele Inder nicht so gerne zugeben. Gleiche Ausbildungsmöglichkeit für alle, für Frau und Mann, arm und reich, niedrig und höher Geborene würde allgemeine Chancengleichheit bedeuten, doch genau das ist der traditionellen indischen Gesellschaft nie ein Anliegen gewesen. Natürlich hat sich in Indien vieles zum Besseren verändert, und vieles ist auch heute im Fluß. Aber aufs Ganze gesehen ist das Tempo nicht schnell genug, hinkt der sozioökonomische Fortschritt dem Bevölkerungswachstum hinterher, gibt es stets weniger neue Schulen als Kinder. Es fehlt in Indien nicht an Stimmen, welche die ständige Fehlentwicklung immer wieder laut und selbstkritisch beklagen. Aber je höher die Menschenflut steigt, desto schwieriger werden auch die Gegenmaßnahmen. Heute gibt es in Indien 338 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Diese Zahl ist fast genauso hoch wie die der gesamten Bevölkerung zur Zeit der Unabhängigkeitserklärung. Indien fühlt sich dieser Tage ganz groß in dieser Welt. Es hat das perfide Pakistan besiegt. Es hat sich die Achtung der Welt und sogar der USA, dieser alten Hassliebe, errungen. Es sieht sich durch die pakistanische Aggressivität in seinem Entschluß bestätigt, zur offiziellen Atommacht zu avancieren. Ein kleines Problem bleibt trotzdem: Das Land muss nun ernsthaft aufpassen, dass es nicht zu groß wird.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, Juli 1999

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Familienplanung

"Choti family, happy family" - kleine Familie, glückliche Familie oder ein ähnlicher Werbespruch findet sich fast in jedem Dorf auf einer Wand über vier Köpfen. Sie stellen eine Frau, einen Mann, ein Mädchen und einen Jungen dar und sollen für die Kleinfamilie werben. Es hat sich gezeigt, dass in Regionen im Süden Indiens, z. B. im Bundesstaat Kerala, in dem 70 % der Menschen lesen und schreiben können, die Geburtenrate gesunken ist. Seit 1952 betreibt die indische Regierung Familienplanungsprogramme, die bis jetzt nur wenig erfolgreich waren. 1991 hat noch jede Inderin durchschnittlich fünf Kinder geboren. Neue Maßnahmen beschränken sich nicht mehr auf die Vermittlung von Kenntnissen über Verhütungsmittel und Sterilisationskampagnen. Familienwohlfahrtsprogramme wurden eingeleitet, in denen Wissen über Gesundheitspflege und Kinderernährung vermittelt wird. Bildungsprogramme wurden gestartet, die insbesondere die Frauen in ihrer sozialen und wirtschaftlichen Stellung stärken sollen. Premierminister Radjiv Gandhi sagte 1989 in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf die Frage, wie das Problem der Überbevölkerung zu lösen sei: "Ich weiß nicht, ob es eine neue Idee ist. Wahrscheinlich nicht. Aber ich setzte auf die bessere Ausbildung der Frauen, die an die wirtschaftliche Entwicklung gekoppelt ist."

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