
In Indien
ist Kinderarbeit, gesetzlich streng geregelt, ein vielschichtiges
Problem. Oft können die Eltern den Lebensunterhalt der Familie nicht
sichern. Deshalb müssen die Kinder mit verdienen, um Essen und Miete
bezahlen zu können. Häufig helfen sie ihren Eltern bei handwerklichen
Tätigkeiten. Sie drehen Zigaretten, kleben Tüten oder knüpfen Teppiche.
Sie verkaufen mit ihren Eltern oder selbstständig Gemüse, Altpapier
oder Tee auf Märkten. Sie sammeln und sortieren Müll, arbeiten in
Restaurants, Hotels und Privathaushalten. Viele Kinder und Jugendliche
sind in Werkstätten und Fabriken beschäftigt. Dort stellen sie Textilien,
Schieferstifte und Feuerwerkskörper her oder setzen Elektro- und
Maschinenbauteile zusammen.
Auf
dem Land arbeiten besonders viele Kinder. Sie pflücken Kaffee und
Tee auf Plantagen oder schuften auf den Feldern von Großbauern.
Daneben müssen vor allem die Mädchen im Haushalt mitarbeiten und
kleinere Geschwister hüten. Nur wenige dieser Kinder können zur
Schule gehen. Handelsboykotte (nur 5 % aller Kinder arbeiten in
Bereichen, die Waren ins Ausland ausführen) oder das generelle
Verbot von Kinderarbeit sind nicht sinnvoll, solange noch so viele
Menschen in Indien sehr arm sind. Viele Familien sind auf das von
den Kindern verdiente Geld angewiesen, um überleben zu können. Das
Verbot der Kinderarbeit in einem Gewerbezweig ist oft nur die Verdrängung
des Problems in einen anderen mit häufig noch schlechteren Arbeiten
und Arbeitsbedingungen, wie Straßenhandel, Baugewerbe oder Prostitution.
Wichtig ist zu verhindern, dass Kinder ausgebeutet werden, indem
sie z.B. 15 Stunden am Tag schwer arbeiten müssen. Oft geschieht
dies unter schlechten Arbeitsbedingungen (Lärm, Staub, Enge, schlechtes
Licht), die sie krank machen.
Momentanes Ziel ist es, die Arbeitszeit von Kindern
und Jugendlichen zu verkürzen, so dass sie auch noch die Möglichkeit
haben, eine Schule zu besuchen. Dadurch haben sie die Chance, in
Zukunft eine besser bezahlte Arbeit zu finden. Ihre Arbeitsbedingungen
und ihre Bezahlung müssen verbessert und sie müssen sozial abgesichert
werden, z. B. für den Fall einer Erkrankung. Auch wenn die Zahl
der arbeitenden Kinder sehr hoch ist und die Arbeitsbedingungen
hart sind, so gilt das nicht für alle indischen Kinder. Viele Kinder
und Jugendliche wachsen ganz normal auf, behütet und umsorgt.

Kinder schuften für Hungerlöhne -
Ein Bericht über Kinderarbeit in Indien
Pauwa
Ahmads Arbeitstag in einer Autowerkstatt beginnt um neun Uhr morgens
und endet elf Stunden später. Von einer kurzen Mittagspause abgesehen,
in der er ein paar Chapatis
und Linsenbrei in sich hineinstopft, ist er ununterbrochen mit Botengängen,
Teekochen, kleineren Reparaturen und dem Abschmieren von Autos beschäftigt.
Sein Tagesverdienst liegt bei etwa 24 Pfennigen. Ahmad ist zehn
Jahre alt. Er gehört zu den schätzungsweise 16 Millionen indischen
Jugendlichen, die zur größten "Kinderarbeitsarmee" der Welt geworden
sind. "Die Regierung ist hilflos", charakterisiert R. K. Saha, ein
Beamter des indischen Sozialministeriums, die Lage. "Wir müssen
uns aber auch fragen, warum diese Kinder arbeiten, statt wie ihre
Altersgenossen in anderen Teilen der Welt zur Schule zu gehen."
Saha liefert die Antwort gleich mit: "Entweder sind die Eltern arbeitslos,
oder sie verdienen so wenig, dass auf die Hilfe der Kinder für das
überleben der Familie nicht verzichtet werden kann."
Für eine arme indische Familie stelle ein Kind, sagen
Regierungsbeamte, nicht nur einen zusätzlichen Mund dar, den es
zu stopfen gelte, sondern auch ein Paar Hände zum Arbeiten. "Deshalb",
meint Saha, "werden weder öffentlicher Druck noch ein gesetzliches
Verbot die Kinderarbeit beenden. Und wir können uns nicht vorwerfen
lassen, dass wir die Menschen um ihr täglich Brot bringen."
Der zehnjährige Ahmad, der mit seinen Eltern und Geschwistern in
einer Slumhütte im Moslemviertel von Alt-Delhi lebt, ist glücklich,
dass er arbeiten kann. "Ich lerne, mit Werkzeugen umzugehen, und
ich mag meinen Job", sagt er. Er arbeite, sagt er, um seinem Vater
zu helfen, der als Nachtwächter auf einem Gemüsemarkt nur etwa 82
DM im Monat verdiene. Natürlich würde er gerne zur Schule gehen,
gibt Ahmad zu. "Vielleicht mache ich das auch, wenn ich älter bin.
Sagen wir mit 13 oder 14 Jahren. Zur Zeit jedenfalls werde ich ganz
bestimmt weiter arbeiten gehen."
Aus : DAHW Themenheft Indien,
3.Aufl. 1995

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