
Geschlechtsbestimmung
untersagt
Indien geht gegen Abtreibung weiblicher Föten vor
Unmittelbar
vor der Weltbevölkerungskonferenz in Kairo hat das indische Parlament
ein Gesetz verabschiedet, das einen der häßlichesten
Aspekte weiblicher Diskriminierung unterbinden soll. Künftig soll
es strafbar sein, vor der Geburt das Geschlecht des Babys zu bestimmen
und dieses abzutreiben, wenn es ein Mädchen ist. Die Abtreibung
weiblicher Föten ist in Indien weitgeübte Praxis. Überall gibt es
Kliniken, die auf großen Schildern ihre Dienste anbieten. Ganz unverhüllt
steht da zu Lesen, um was es geht: "Lieber tausend Rupien jetzt
investieren, als hunderttausend später gezahlt." Gemeint ist die
Mitgift, ohne die kein Mädchen in die Ehe verkauft werden kann.
Für die Familie des Ehemanns ist sie ein beträchtlicher Einkommensfaktor,
und die Forderungen steigen rapide. Immer mehr Mädchen müssen darum
sterben, bevor sie überhaupt geboren werden, ein Viertel der zwölf
Millionen weiblichen Kinder, die jedes Jahr geboren werden, erlebt
nicht ihr fünfzehntes Lebensjahr.
Die spätere Mitgift ist freilich nicht der Hauptgrund,
weibliche Föten abzutreiben. Vielmehr ist es die Verachtung für
Frauen überhaupt und die Sucht nach Söhnen. Nur sie dürfen den Scheiterhaufen
des Vaters anzünden, was die Voraussetzung ist, dass sich die Seele
von der Erde löst, nur sie gelten als Altersversicherung. Geschlechtsbestimmung
und Abtreibung ist eine wahre Industrie, die sich nicht allein auf
die Großstädte beschränkt. Nur in den rückständigsten Regionen überläßt
man die Kindstötung den Müttern. Sie werden gezwungen, neugeborene
Mädchen umzubringen. Schließlich, so meint man nicht nur in solchen
Dörfern, sondern bis hinauf in die Büros der Regierenden, sind es
die Frauen, die für das Bevölkerungswachstum verantwortlich sind.
Dieses ist in der Tat beängstigend. 27 Millionen Menschen
werden jedes Jahr geboren, während achteinhalb Millionen sterben.
In keinem Land der Erde wächst die Bevölkerung schneller: Indiens
Familienplanungsprogramm, das älteste der Welt, ist ein einziger
Mißerfolg. Das neue Gesetz wird aber kaum dazu beitragen,
weibliche Babys künftig zu schützen. Denn nun treibt man das Abtreiben
in den Untergrund, teurer wird es dazu, das zeigen die Erfahrungen
im indischen Unionsstaat Maharashtra,
wo ein ähnliches Verbot bereits seit zwei Jahren existiert. Denn
solange Frauen in Indien nichts wert sind, ja sogar als Last angesehen
werden, wird sich an der Praxis nichts ändern. Typisch auch, dass
der Gesetzgeber wohl alle jene mit einer Geldstrafe von 250 Euro
belegt, die vorgeburtliche Geschlechtsbestimmung vornehmen, dass
aber auch gegen die Frauen Geld- und Gefängnisstrafen verhängt werden,
die zu solchen Tests gehen. Dass die Schwangeren das kaum aus freien
Stücken tun, sondern vielmehr von ihren Männern und den Familien
ihrer Männer, ja, auch von den Gesellschaftsnormen dazu gezwungen
werden, das hat sich offenbar im Parlament von Neu-Delhi
noch nicht herumgesprochen. Auf der Bevölkerungskonferenz in Kairo
wird Indien deshalb wohl kaum mit einem aufpolierten Image auftreten
können, wie es sich das nach der Verabschiedung des neuen Gesetzes
erhofft hat.
Gabriele Venzky. In: Frankfurter
Rundschau, 3.9.1994.
Lebensbedingungen
indischer Frauen, Hochzeit und ihre möglichen Folgen
Nichts
wird bei einer Hochzeit in Indien dem Zufall überlassen, jedes Symbol
hat seine Bedeutung für die Zukunft. Die Brauthände sind mit Mehendi
bemalt, ein mit gebrannten Eukalyptusblättern aufgetragenes
verschnörkeltes Muster, in dem irgendwo der Name des Bräutigams
verborgen ist. Wenn Suneet Malhotra, der Bräutigam, ihn findet,
gilt eine glückliche Ehe als sicher. Die weiße Stute, auf der er
zur Hochzeit geritten ist, steht als Symbol für die weibliche Unterwerfung.
Ein Astrologe war tagelang mit der Ausarbeitung eines Horoskops
beschäftigt. Er muss den besten Zeitpunkt für die Trauung bestimmen.
Rasika Sood und Suneet Malhotra kennen sich schon seit vier Jahren.
Doch ihre Liebesheirat ist in Indien immer noch die Ausnahme. 91
Prozent aller Eheschließungen, so eine Umfrage des Wochenmagazins
India Today aus dem Jahre 1996, werden 'arrangiert': Die Eltern
bestimmen die passenden Partner. (...)
"Heiraten in Indien ist eine schwierige Sache", sagt
Neeta Raheja, Autorin des Buches 'Wie arrangiere ich eine Heirat'.
"Dauernd versuchen irgendwelche Verwandten oder Freunde sich
einzumischen." Die Interessenslage ist klar: Häufig haben sie nicht
nur eigene Kinder, die unter die Haube gebracht werden müssen. Oft
spielen auch kühle wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Denn von
den Eltern der Braut wird meistens "Dowry"
erwartet, eine Mitgift. Neeta Raheja: "Früher war das nicht so weit
verbreitet. Aber die Mitgift spielt vor allem bei Leuten, die auf
der sozialen Leiter nach oben wollen, eine große Rolle." (...) Getreu
dem Motto, dass laut Neeta Raheja vor allem in den Städten Indiens
um sich greift: "Hochzeiten werden zum Statussymbol. Man muss zeigen,
was man ausgeben kann."
Willi Germund: Eine Hochzeit, die
ist kompliziert. In Frankfurter Rundschau 28.12.1998, S.8
Für die Mitgift, die seit 1961 offiziell gesetzlich
verboten ist, und die Hochzeitsfeier ihrer Tochter verschulden sich
Eltern oft für ihr ganzes Leben. In vielen Fällen stellt die Familie
des Bräutigams nach der Heirat auch noch weitere Forderungen. Als
Gründe werden genannt, dass die Braut nicht so fleißig sei, wie
von ihren Eltern versprochen wurde oder dass sie nicht gleich einen
Jungen zur Welt gebracht hat. Häufig ist es den Eltern der Braut
nicht möglich, auf die Forderungen einzugehen. Indische Zeitungen
berichten, dass aus diesen Gründen jung verheiratete Frauen von
den Familien ihrer Männer mißhandelt oder sogar umgebracht
werden. Alarmierend ist die Zahl der Brandanschläge auf Ehefrauen.
Häufig werden sie mit brennbarer Flüssigkeit übergossen und angezündet.
Da in Indien sehr viel mit Kerosin gekocht wird, sind diese Mordversuche
und Morde als Haushaltsunfälle getarnt. Nachweisbar sind diese Verbrechen
kaum. Nach dem Tod der Ehefrau ist der Weg frei für eine neue Heirat
des Witwers mit einer noch "besseren Partie" mit größerer Mitgift.
Unverheiratete
Frauen und Witwen
Unverheiratete Frauen haben ab einem bestimmten Alter
keine geachtete soziale Stellung mehr. Sie gelten als unnütz, da
sie die ihnen zugedachten Aufgaben als Mütter und Ehefrauen nicht
erfüllen. Sie sind verletzlich, da nach indischer Vorstellung kein
Ehemann oder dessen Familie sie schützt und ihre Rechte wahrnimmt.
Meist werden unverheiratete Frauen als gesellschaftliche Zumutung
angesehen. Selbst in oberen Schichten ist dieses Denken noch vorherrschend.
Nur langsam beginnen sich Frauen in der Großstadt als Individuen
mit eigenen Rechten zu verstehen. Eine ebenso schlechte soziale
Stellung besitzen Witwen. Oft wird ihnen die Schuld am Tod ihres
Ehemannes gegeben. Als Zeichen der Trauer wird ihnen der Kopf geschoren.
Das Tragen von Schmuck und farbigen Saris
ist Witwen verboten. Im Haushalt der Familie ihres Mannes müssen
sie die niedrigsten Arbeiten erledigen. Und zu Essen bekommen sie
nur die Reste einer Mahlzeit. Häufig sind sie den männlichen Verwandten
auch sexuell ausgeliefert. Die Witwenverbrennung ist in Indien zwar
schon lange verboten. Gelegentlich kommt sie aber noch vor.

Behinderte Frauen
Besonders benachteiligt sind kranke und behinderte
Frauen. In Nilakottai, Madurai leitet die katholische Ordensfrau
Sr. Aones Xavier ein Projekt, das ehemalige Leprapatientintien unterstützt.
Sie sind zwar geheilt, aber durch den Verlust von Zehen oder Fingern
behindert. Für diese Frauen ist es schwierig Arbeit zu finden, da
sie wegen ihrer Behinderung viele Dinge nicht mehr tun können. Das
DAHW finanziert für diese Frauen ein Kleinkreditprogramm. Den Frauen
wurden für ein Jahr drei bis fünf Ziegen und Kühe geliehen. Sie
dienen zur Milch- und Fleischversorgung ihrer Familien. Überschüsse
dürfen verkauft werden. Nach einem Jahr muss die Anzahl der geliehenen
Tiere zurückgegeben werden. Alle anderen bis dahin geborenen Tiere
dürfen behalten werden. Die zurückgegebenen Tiere werden an andere
Frauen weitergegeben. Das Projekt ist sehr erfolgreich: Fast alle
Tiere (98%) werden nach einem Jahr zurückgegeben.

Frauen in der
Arbeitswelt
Viele
Millionen indische Frauen sind in den unterschiedlichsten Berufen
tätig. Ihr Alltag und ihre Mühen, Beruf und Haushalt zu vereinbaren,
unterscheiden sich kaum von denen deutscher Frauen. Doch immer noch
haben die meisten indischen Frauen keine Schul- und Berufsausbildung.
Sie verdienen ihren Lebensunterhalt in Plantagen, Fabriken, Werkstätten,
in Privathaushalten als Dienstmädchen und Wäscherinnen, auf Märkten,
betreiben Imbissstände, sammeln Lumpen oder stellen alle möglichen
Dinge her, die sie verkaufen können (Zigaretten, Decken, Tüten,
.). Die Mehrzahl der Inderinnen lebt auf dem Land. Fast 40 % von
ihnen vegetieren unter der Armutsgrenze. Diese Frauen und ihre Familien
haben kaum Besitz und kaum Zugang zu Krediten. Ihre Lebensbedingungen
verschlechtern sich stetig. Oft suchen ihre Männer Arbeit in den
Städten, so dass die Frauen die ganze Verantwortung und Arbeit mit
Kindern, Alten und Kranken haben. Sie sind meist alleine für deren
Ernährung verantwortlich. Ihr Alltag ist eine endlose Schufterei
- oft ohne die Möglichkeit auf medizinische Versorgung, Bildung
oder Geburtenkontrolle und auch ohne Aussicht auf Veränderung.


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