
Die letzte
Volkszählung von 1991 hat ergeben, dass 77 % der indischen Bevölkerung
in Dörfern lebt. Sie wohnt in 640.000 Gemeinden. Davon haben 50
% weniger als 500 Bewohner/-innen. Zum Vergleich: Es gibt nur 1600
Städte mit mehr als 20.000 Menschen. 75 % der ländlichen Haushalte
haben ein Einkommen, das unter dem nationalen Durchschnitt liegt.
Ein durchschnittliches Dorf hat 1025 Einwohner/-innen, die zwischen
15 und 20 verschiedenen Kasten angehören. Die Kastenordnung prägt
die Dorfstruktur stark. Meistens wohnt jede Kaste in einem eigenen
Viertel. Angehörige höherer Kasten haben ihre Höfe und Felder in
guten Lagen (fruchtbarer Boden, leichter Zugang zu Wasser z.B. Brunnen).
Menschen aus niedrigeren Kasten müssen sich oft mit schlechteren
Lebensbedingungen zufrieden geben. Dörfer können auch nach Berufsgruppen
aufgegliedert sein, was aber fast immer mit der Kastenzugehörigkeit
zusammenfällt. Dies ist aber nur ein ganz grobes Modell für ein
indisches Dorf.
An
sich sind sie so unterschiedlich, wie die Dörfer Europas auch. Je
nach landschaftlicher Lage, Klimazone, Stammes- oder Religionszugehörigkeit
und Landwirtschaftsart ist ihr Aussehen verschieden. Im Himalaja
beispielsweise sind Einzelgehöfte und Weiler anzutreffen, wie auch
bei uns in den Alpen. Großgemeinden, die aus vielen einzelnen Dorfteilen
bestehen, gibt es vor allem in Südindien. Ein Dorf ist keine abgeschlossene
Einheit. Ein Besuch im Nachbardorf ist häufig nötig, weil es nur
dort einen bestimmten Handwerker oder die nächste Schule gibt. Viele
Dörfer sind durch verwandtschaftliche Beziehungen miteinander verbunden,
da selten innerhalb eines Dorfes geheiratet wird. Auch in die nächste
Stadt müssen die meisten Dorfbewohner/-innen immer mal wieder reisen.
An Markttagen verkaufen sie dort ihre landwirtschaftlichen oder
handwerklichen Produkte. Hier befinden sich Post, Schule, Krankenhaus,
Ämter, Läden, Polizei, Kino, Bank und Bus- oder Bahnstation.
Die Stadt kommt aber auch über Radio und Fernsehen, die es immer
öfter gibt, ins Dorf. Mittlerweile sind 50 % der Dörfer ans Stromnetz
angeschlossen. In der Landwirtschaft (Weizen- und Reisanbau) und
im Handwerk gibt es wegen des großen Bevölkerungswachstums nicht
mehr genügend Arbeit. Die Großbauern und Reismühlen brauchen durch
die Verwendung von Maschinen immer weniger Tagelöhner. Wegen der
großen Armut ziehen viele Menschen, vor allem Männer, in die Städte
und hoffen dort Arbeit zu finden. Da die meisten Analphabeten sind
und keine Berufsausbildung haben, haben sie es oft sehr schwer und
müssen in den städtischen Slums leben.
Landbesitz und
Landverteilung
Landbesitz und Vermögen sind in Indien sehr ungleich
verteilt. 70 % der landwirtschaftlichen Betriebe sind kleiner als
2 ha (ca. 2 Fußballfelder groß). Zusammen bewirtschaften sie 20
% der Anbaufläche. Die restlichen 80 % werden von wenigen Großbetrieben
bearbeitet. Großgrundbesitzer, "Landlords"
genannt, bewirtschaften ihr Land nicht selbst. Sie setzen Verwalter
ein, die sich um die Bewirtschaftung kümmern. Den meisten landwirtschaftlichen
Großbetrieben geht es wirtschaftlich gut. Sie produzieren für den
Nahrungsmittelmarkt und haben dadurch leichteren Zugang zu Krediten
und staatlichen Förderprogrammen. Kleinbauern sind Selbstversorger,
die ohne fremde Arbeitskräfte ihr Land bestellen. Pächter von Flächenstücken
der Mittel- und Großbauern sind Landlose und Bauern, deren Ertrag
nicht zum Überleben ausreicht. Sie zahlen ihre Pacht in Naturalien
oder bar. Viele Landlose finden nur als Gelegenheitsarbeiter oder
Tagelöhner unregelmäßige Arbeit, z.B. in der Aussaat- oder Erntezeit.
Ihr Einkommen ist gering.


Gesundheitsversorgung
auf dem Land
In den meisten Dörfern gibt es keinen Arzt oder Ärztin.
Das nächste Krankenhaus ist oft weit weg. Bevor Kranke zu einer
medizinischen Behandlung gebracht werden, geht es ihnen oft schon
sehr schlecht. Daher gelten Krankenhäuser auf dem Land auch als
Sterbehäuser. Die Scheu vor ihnen ist entsprechend groß. Um die
Gesundheitsversorgung der ländlichen Bevölkerung zu verbessern und
ansteckende Krankheiten schneller zu erkennen, hat die indische
Regierung verschiedene Förderprogramme entwickelt. Das DAHW betreut
Projekte wie das Bamieri Social Welfare
Centre in Dhanbad, Bihar
(Nordindien), das ein Lepra-und Tuberkulose-Kontrollgebiet zugewiesen
bekommen hat. Das Programm gilt für die Stadt Dhanbad, aber auch
für die weitverstreuten Dörfer der Region. Ein Basisgesundheitsdienst
wurde eingerichtet, d.h. dass medizinische Helferinnen und Helfer
regelmäßige Sprechstunden in den Dörfern abhalten - oft unter freiem
Himmel. Sie leisten medizinische Hilfe, geben Hygieneratschläge,
betreiben Aufklärungsarbeit über Lepra und Tuberkulose, erläutern
deren Früherkennungs- und Heilungsmöglichkeiten, und überweisen
erkrankte Personen in Krankenhäuser. Bereits geheilte Menschen werden
von ihnen weiter betreut, da sie oft an Behinderungen leiden. Zusätzlich
werden durch flächendeckende Hausbesuche auf den Dörfern alte
Menschen auf Anzeichen von Lepra und Tuberkulose untersucht.
Landwirtschaft
und Umwelt
Indien ist ein Agrarland. Zwei Drittel der Bevölkerung
sind in der Land-, Vieh- und Forstwirtschaft beschäftigt. Dieser
Wirtschaftsbereich und die dazugehörende weiterverarbeitende Industrie
(z.B. Lebensmittel, Textilien, Lederwaren, Holzwaren) erwirtschafteten
zwischen 1980-1990 über 45 % der Exporteinnahmen. Indien ist der
weltweit größte Produzent von Tee, Jute, Hülsenfrüchten, Hirse und
Sesam. Wichtige Erzeugnisse sind auch Zucker, Reis, Rapssaaten,
Seide und Zwiebeln. Die Nahrungsmittelproduktion ist starken Schwankungen
unterworfen. Großen Einfluß auf die Ernte hat der Monsunregen. Setzt
er zu spät ein, sind bereits viele Pflanzen vertrocknet; kommt er
zu früh, sind sie noch nicht ausgereift. Zwei Drittel des Ackerlandes
sind ständig dürregefährdet. Die Landwirtschaft in Indien wird in
Zukunft mit großen Problemen zu kämpfen haben. Die Anbaufläche wurde
und wird wegen des Bevölkerungswachstums stetig vergrößert. Dafür
müssen Wälder abgeholzt werden. Heute ist nur noch 10 % der gesamten
Fläche Indiens bewaldet. Die gerodeten Flächen sind einer starken
Bodenerosion ausgesetzt, d.h., dass bei Wind und Regen die fruchtbare
Erde abgetragen oder weggeschwemmt wird. Anbau ist auf diesen Flächen
nicht mehr möglich. Ein weiteres Problem ist durch die Anlage der
Tiefbrunnen entstanden. 5O % des Landes werden schon mit diesen
Brunnen bewässert. Der Grundwasserspiegel ist gesunken und noch
mehr Böden trocknen aus. Indien befindet sich in einem Wettlauf
zwischen Bevölkerungswachstum und Steigerung der Ertragsfläche.
Wie wird der Wettlauf ausgehen wird, weiß niemand.

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1964
|
1978
|
1992/93
|
1995/96
|
Reis |
55,0
|
31,0
|
72,9
|
79,6
|
Weizen |
10,0
|
79,0
|
57,2
|
62,6
|
Zuckerrohr |
104,0
|
145,0
|
228,0
|
282,9
|
Baumwolle (Mio. Ballen) |
0,9
|
2,3
|
11,4
|
13,1
|
Landwirtschaftliche Produktion (in
Mio. t)
Quellen: Munzinger-Archiv/IH-Länder
aktuell 15-16/98, 5.15 und Wochenschau für politische Erziehung,
Entwicklungshilfe Nr. 3, Frankfurt Mai/Juni 1983.
Umweltschutz
Das Bewußtsein für den Umweltschutz wächst in
Indien. Ein Beispiel hierfür ist die Chipko-Bewegung
von Frauen aus der Himalayaregion.
Der Waldbestand der Gebirgskette war durch kommerzielle Abholzung,
etwa für die Papierindustrie oder für Bauholz stark bedroht. Bewohnerinnen
der Region haben sich gegen die Abholzungstrupps gestellt. Sie haben
sich an Bäume gekettet und so schließlich verhindert, dass sie gefällt
wurden. Häufig sind die Frauen dabei auch verletzt worden. Die Chipko-Bewegung
hat von der Regierung Kredite für die Instandhaltung der Gemeindewälder
bekommen. Wiederaufforstungsprogramme wurden und werden ebenfalls
finanziert. Ein Umdenken hat stattgefunden. Es wird nicht mehr alles
Holz als Brennmaterial abgesammelt und der Wald als Viehweide gebraucht.
Denn auch dadurch wurde vorher viel Schaden angerichtet. Ähnliche
Initiativen wie die Chipko-Bewegung gibt es mittlerweile auch in
anderen Teilen Indiens. Ein anderes großes Umweltproblem, neben
dem Holzeinschlag, der zu Erosionen führt, ist die Übernutzung
der Anbaufläche. Falsche Bewässerung versalzt den Boden oder
vernässt ihn, so dass kein Anbau mehr möglich ist. Unsachgemäße
Düngung, fehlende Kläranlagen und ungeregelte Abfalldeponien gefährden
das Grundwasser. Auch die Schadstoffbelastung der Flüsse ist durch
ungeklärte Abwässer aus Industrie und Haushalten extrem hoch. Kraftwerke,
Industriebetriebe und der Straßenverkehr belasten die Luft stark.
Das Einatmen der Luft in den Großstädten soll dem Rauchen von zehn
Zigaretten täglich entsprechen. Auch der Lärm, vor allem in den
Städten, birgt große Gesundheitsrisiken.
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