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Alltag auf dem Land - ein Tag im Leben von Kumud

Kumud steht jeden Morgen auf, wenn die Hähne krähen. Noch in der Dämmerung eilt sie aus dem Dorf und hockt sich an einem Feldrand hinter das Getreide. Andere Frauen, die zum gleichen Zweck unterwegs sind, rufen ihr Neuigkeiten aus dem Dorf zu. Zurück bei der strohgedeckten Lehmhütte wäscht sie sich, putzt sich mit einem Zweig des Neem-Baums die Zähne, kämmt sich die Haare, bevor sie sie zu einem Knoten zusammensteckt. Sie würde die Haare gern jeden Morgen mit Kokosnussöl einreiben, zum Schutz vor der Sonne, doch Kokosnussöl kann sie sich nur einmal in der Woche, nach dem Haare waschen, leisten. Dann tupft sie sich Kumkun, dunkelrotes Pulver, zwischen die Augenbrauen auf die Stirn und erweist Krishna auf einem bunten Götterbild in der Ecke der Hütte ihre Verehrung. Hockend fegt sie mit einem Reisigbesen vor der Lehmhütte und zeichnet ein Rangoti, ein Glückssymbol, vor die Tür, indem sie Reismehl durch ihre Finger Laufen läßt.

Sie schlägt die eingeweichte schmutzige Wäsche vom Vortag auf einem Stein und breitet sie danach auf dem Boden zum Trocknen aus. Bei jeder ihrer Bewegungen klimpern die bunten, leicht zerbrechlichen Glasreifen an ihren Handgelenken, Zeichen weiblicher Schwäche. Kumud bürstet die Büffelkuh ab, die neben der Hütte angebunden ist, füttert und melkt sie. Sie weckt ihre drei Kinder, wäscht sie, zieht sie an. Dann beginnt sie, die Hauptmahlzeit des Tages zuzubereiten, walkt den zähen Teig für die Fladenbrot, verliest die Linsen, in denen wie immer eine Menge Dreck und kleine Steinchen sind. Anderes Gemüse kann sich die Familie nur selten leisten. Kumud kocht auf einem Lehmofen, immer bemüht, dem beißenden Rauch auszuweichen, der aus dem Feuer hochsteigt. Zuerst essen ihr Mann und ihr Schwiegervater, dann die Schwiegermutter und die Kinder. Kumud bedient alle und hat kaum noch Zeit, selbst zu essen, denn sie muss zur Erntearbeit auf das Feld eines mittelgroßen Bauern. Für sie ist das erst der Anfang eines langen Arbeitstages. Als Tagelöhnerin bekommt sie an 140 Tagen im Jahr durchschnittlich fünf Stunden Arbeit; der Tageslohn beträgt2,50 Rupien; ihren männlichen Kollegen wird an über 200 Tagen eine Beschäftigung angeboten für vier Rupien pro Tag.

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Nach der Lohnarbeit geht sie zum Jäten auf das einen halben Hektar große Stück Familienland, auf dem Jowai; eine Hirsesorte, angebaut ist. Die beiden ältesten Kinder helfen ihr dabei, und gemeinsam steigen sie auf einen fast zwei Kilometer entfernten, buschbewachsenen Hügel, um Zweige als Brennmaterial und Blätter und Gras als Futter für die Büffelkuh zu sammeln. Zu Hause - es dämmert bereits - füttert und melkt sie die Kuh; die Milch will sie zu Joghurt und Fett verarbeiten; den Kuhdung vermischt sie mit Stroh und legt ihn, zu kreisrunden Kuchen geformt, zum Trocknen aus; sie weiß, dass ihr Feld den Kuhdung als Dünger bitter nötig braucht und dass ein Kuhdungfeuer mehr und beißenden Rauch entwickelt als ein Holzfeuer, aber das gesammelte Kleinholz reicht einfach nicht zum Kochen aus. Es ist schon dunkel, als sie dreimal mit einem Krug zum Brunnen geht, um Wasser zum Trinken und Waschen zu holen. Dann mahlt sie mit einem großen Stein die Hirse für die Fladenbrote des Abends und des nächsten Tages und kocht die Nachtmahlzeit. Nach dem Essen scheuert sie mit Sand und Asche das Geschirr sauber, räumt auf, und als sie sich um neun Uhr auf ihre Bastmatte auf den Boden der Hütte legt, schlafen alle anderen Familienmitglieder bereits.

Kumud ist 26 Jahre alt. Sie hat sieben Schwangerschaften hinter sich. Davon endeten zwei mit einer Fehl-und eine mit einer Totgeburt; ein Kind starb während des ersten Lebensjahres. Kumud war noch nie in einem Krankenhaus, in einer Schule oder in einer Stadt. Nur ein paar Mal ging sie zu Hochzeiten in Nachbardörfer, die nicht mehr als 20 Kilometer entfernt sind. Einmal im Jahr, zu Holi, wenn der Winter zu Ende ist, bekommt sie einen neuen Sari. Kumud hat einen Sohn, aber er ist schwächlich, und weil sie um sein Leben fürchtet, möchte sie zur Sicherheit noch einen Sohn bekommen. Sie will sich sterilisieren lassen, wenn das nächste Kind ein Sohn ist - und wenn es eine Tochter ist? Ihr Mann überlegt, ob er nach Kalkutta gehen soll, um eine einträglichere Beschäftigung als die Feldarbeit zu suchen. Kumud ist nicht sicher, ob er dann wirklich etwas von seinem Verdienst an die Familie im Dorf schicken kann oder ob er sich in der Stadt vielleicht eine zweite Frau nimmt, wie so viele andere. Aber sicher ist, dass es für sie nicht einfacher wird, wenn sie allein für die alten Schwiegereltern und für die Kinder verantwortlich ist.

Christa Wichterich: Stree Shakti. Frauen in Indien: Von der Stärke der Schwachen. Bornheim-Merten 1986, S.9.

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