Der neue Staat
Indien hat sich immer schon das angeeignet
und modifizierte, was es für nützlich hielt, viele neue
Techniken, Bräuche, Sitten und Fertigkeiten der Zivilisationen,
mit denen sie in Kontakt getreten ist. Und wieder einmal konnte
sich der junge Staat beweisen und an seine großartige Vergangenheit
anknüpfen. Denn sein Kampf gegen die Herrschaft der Briten
richtete sich nicht gegen die Menschen Großbritanniens oder
des Westens, sondern gegen den imperialistischen Vorherrschaftsanspruch.
Deshalb verblieb Indien im British Commonwealth of Nations, und
übernahm auch einige der eingeführten Prinzipien und
Systeme, anstatt sie zu verteufeln. Neben der parlamentarischen
Demokratie, dem Justiz-, Verteidigungs- und Schulsystem wurde
auch die alten Handelsstrukturen übernommen. Indien ist heute
die größte und bevölkerungsreichste Demokratie
auf der Erde, leider besitzt sie auch eine der höchsten Analphabetenquote
und z.B. die Fortschritte der Frauenrechte entsprechen noch nicht
dem Stand einer Demokratie..
Die indische Verfassung, die am 26. Januar 1950 verabschiedet
wurde, schützt alle Einwohner vor jeder Form der Diskriminierung
auf Grund von Rasse, Religion, Glauben und auch Geschlecht. Sie
garantiert die Rede-, Presse-, Religions und Versammlungsfreiheit
ebenso wie das Recht auf Organisierung in Vereinen, Erwerb
und Besitz, sowie den freien Handel und theoretisch auch die freien
Berufswahl.
Das
indische Parlament besteht aus zwei Houses (Häuser) : das
Rajya Sabha oder Council
of States (Ratsversammlung der Staaten, vergleichbar mit dem Bundesrat),
und das Lok Sabha oder House
of Representatives (Repräsentantenhaus, vergleichbar mit
dem Bundestag). Das erstere besteht aus 250 Mitgliedern, die meisten
sind frei gewählt und einige werden von dem Präsidenten
nominiert, und wird von dem Vice-President (Vizepräsident)
präsidiert. Das Lok Sabha setzt sich aus 543 Abgeordneten
zusammen, die von den jeweiligen States (Bundesstaaten) und Union
Territories (Unionsterretorien) gewählt werden. Jedes zu
verabschiedende Gesetz benötigt die Zustimmung beider Häuser.
Der President (Präsident, vergleichbar mit dem Bundespräsidenten)
ist das Oberhaupt des Staates, ernennt alle Minister und wird
von einem Electoral College (Rat von Wahlmännern) beider
Häuser und der Legislative der wählenden Staaten gewählt.
Der Prime Minister (Premierminister, vergleichbar mit dem Bundeskanzler)
ist der Regierungs- und Parteichef der stärksten Partei in
dem Lok Sabha. Der Präsident ernennt außerdem alle
Minister.
Die Abgeordneten der State Legislative Assemblies (gesetzgebende
Versammlung) oder Vidhan Sabhas
werden durch das allgemeine, gleiche Wahlrecht direkt durch das
Volk gewählt. Jeder Bundesstaat besitzt einen Chief Minister
(vergleichbar mit dem Ministerpräsidenten), der der Parteichef
der stärksten Partei des Staates ist. Die Wahlen werden von
einer unabhängigen Election Commission (Wahlkommission) überwacht.
Der ebenso unabhängige Gerichtshof wahrt und interpretiert
die Verfassung, und der Supreme Court (oberste Bundesgerichtshof)
ist das höchste Gericht im Land, ihm unterstellt sind damit
die State High Courts (obersten Gerichtshöfe der Bundesstaaten).
Der öffentliche Dienst setzt schließlich die Politik
der Regierung schnell und gerecht um, sollte er zumindest. Durch
öffentliche Ausschreibungen kann jedermann in den Staatsdienst
erhoben werden.
Das Erreichen der Unabhängigkeit war nur der erste Schritt
zu Bildung eines modernen Staates. Jawaharlal
Nehru drückte es sehr deutlich aus : "Wir sprechen
von Freiheit, aber politische Freiheit bringt uns heutzutage nicht
mehr weiter, wenn wir keine wirtschaftliche Freiheit besitzen.
Tatsächlich gibt es für eine hungernden Mann oder ein
armes Land so etwas wie Freiheit nicht." Heutzutage sind die wirtschaftliche
Entwicklung und die soziale Gerechtigkeit eine der selbstgewählten
Hauptaufgaben der indischen Regierung.
Indien heute
Indiens Vorreiterrolle im internationalen Kampf gegen den Imperialismus
gab ihr auch eine moralische Führungsrolle in der Dritten Welt beim
Streben nach internationalem Frieden, Gleichheit und Gerechtigkeit. 1961
schloß sich Indien der Nonaligned Movement (NAM) (Bündnis blockfreier
Staaten) an, um nicht in den gefährlichen Konflikt der beiden großen
Supermächte hineingezogen zu werden. Blockfreiheit meint in diesem
Zusammenhang nicht Neutralität, sondern neutraler Umgang mit internationalen
Themen und Problemen. Im Einklang mit dem Geist der Bewegung strebte Indien
immer nach bilateralen Beziehungen und Kooperationen auf allen Ebenen mit
den Ländern der beiden Blöcken an, genauso natürlich mit
anderen ebenfalls blockfreien Staaten. Die Relevanz der Blockfreiheit ließ
auch in der post- UDSSR Ära nicht nach, aber das Bündnis mußte
seine Ziel mit Blick auf den immer größer werdenden Abgrund
zwischen Reich und Arm, zwischen den Industriestaaten im Norden und den
Ländern der dritten Welt meist im Süden, neu ausrichten. Die
Hauptaufgabe der Bewegung liegt heute in dem Schutz der Unabhängigkeit
der südlichen Staate vor der Hegemonie des Nordens, und dem interventionistischem
Druck der sich immer wieder als Entwicklungshilfe tarnt zu widerstehen.
Bei der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und
Entwicklung vertrat Indien die Position der Dritten Welt Staaten,
daß die Umweltprobleme nicht ohne Einbeziehung von Wirtschaft
und Entwicklung gelöst werden können. Es wurde betont,
daß die wohlhabenden Staaten einen überproportionalen
Anteil an den Ressourcen der Erde beanspruchen und auch für
den meisten Industriemüll verantwortlich sind. Aus
diesem Grund forderten die Entwicklungsländer die uneingeschränkte
Souveränität über ihre natürlichen Ressourcen
und verlangen finanzielle Unterstützung, um diese Schätze
zugunsten des globalen Überlebens bewahren zu können.
Das internationale Prestige, dem sich Indien erfreuen kann, ermöglichte
es dem Land ein führende Position in multilateralen Initiativen
auf der Suche nach Lösungen für einige kritische Themen,
wie nukleare Abrüstung, Apartheid, die Rechte der palästinensischen
Bevölkerung, Umweltschutz und die Entwicklung der internationalen
Wirtschaftsverhältnisse einzunehmen. Unter dem Aspekt der
eigenen atomaren Aufrüstung und der Wiederholung der Fehler
der Industrieentwicklung hinsichtlich z.B. Naturschutz, erscheinen
diese Bemühungen inzwischen aber auch in einem anderen Licht.
Obwohl es heißt, daß gegenseitiges Vertrauen und Kooperation
die Basis der nachbarschaftlichen Verhältnisse in Indiens
Umfeld prägen, scheint sich dies z.B. nicht auf die Beziehungen
mit Pakistan auszuwirken Seit der Teilung der britischen Kolonie
in Indien und Pakistan beruhigten sich die Beziehungen zwischen
diesen beiden Ländern nie wirklich. Und immer noch herrscht
in den umstrittenen Gebieten wie Kaschmir
ein kriegsähnlicher Zustand.
Die South Asia Association for Regional Cooperation (SAARC)
(Südasiatische Gesellschaft zur regionalen Zusammenarbeit)
wurde im Dezember 1985 gegründet und bietet ein wertvolles
Forum für die Förderung der regionalen Zusammenarbeit
zwischen den sieben Mitgliedsstaaten - Bangladesch, Bhutan, Indien,
Maldiven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka. SAARC basiert auf den
Prinzipien der uneingeschränkten Gleichheit, der territorialen
Unverletzlichkeit, der politischen Unabhängigkeit, der gegenseitige
Unterstützung und der Nichteinmischung in die internen Angelegenheiten
eines jeden Staates.
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